Räume der Stadt. Von der Antike bis heute

Räume der Stadt. 

Von der Antike bis heute
Hrsg. Cornelia Jöchner
mit 17 Beiträgen
Reimer Verlag, Berlin
1. Auflage (Oktober 2008)
386 Seiten, gebundene Ausgabe
Größe: 24,6 x 17,2 x 2,4 cm 
Gewicht: 1000g
ISBN-13: 978-3496013938 
In Zusammenarbeit mit einem Netzwerk an Wissenschaftlern und Professoren entstand eine problembezogene Anthologie
 
"Räume der Stadt" (2008) will kollektives Buch sein mehr als nur ein gewöhnlicher  Sammelband. Das bedeutet, daß aus einer dreijährigen Zusammenarbeit verschiedene Autoren das gemeinsame Interesse bekundet haben, um sich mit Stadt und deren räumlichen Bedingtheiten und Wirkungen auseinanderzusetzen. Der Rahmen für diese Zusammenarbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht, die zunächst ein wissenschaftliches Netzwerk förderte und die Drucklegung des Buches finanziell unterstützte. Zehn Mitglieder des Netzwerkes konnten mit Hilfe dieser Förderung zweimal im Jahr zusammentreffen und Gäste zu ihren Arbeitstagungen einladen. Mit dem hier publizierten Band soll die aktuelle Diskussion zum Thema "Stadt" bereichert werden. Neben Autoren zählen zu den Netzwerkmitgliedern zahlreiche Wissenschaftler und Inhaber unterschiedlichster Lehrstühle an verschiedenen europäischen Universitäten.   
 
Genannt werden neben vielen anderen Namen die von Vittorio Magnago Lampugnani (Zürich); Eduard Führ (Architekturtheoretiker, BTU Cottbus); und Alessandro Nova (Florenz). Personen, die sich zumindest an der Organisation des Netzwerks und damit am Zustandekommen dieses Buches beteiligt haben. Die Herausgeberin, Cornelia Jöchner erläutert einführend den historisch bedingten Ansatz, wenn sie sich auf die ältesten Stadtgründungen im Altertum bezieht und diese näher schildert. Im Alten Testament fällt und steht alles mit dem Turm zu Babel, der im AT als Ursache für die Entstehung eines weit verbreiteten Völkergemischs angesehen wird, indem die Mundarten der Erde in einem Durcheinander vermengt wurden. Diese ethnische Verschiedenheit zeichnet aber "Stadt" erst aus.   Diversität und Pluralität sind nach Cornelia Jöchner auch die vorrangigen Kenzeichen bei der Beschäftigung mit dem Thema.
 
Georg Simmel formuliert: zu Beginn der Moderne, daß nicht der Raum, sondern die Gliederung und Einheit gesellschaftliche Bedeutung erlangen können. Räume entstehen erst in der Wechselwirkung zueinander, das was dazwischen ist, bedingt die Raumerfüllung. Simmels These war, daß der städtische Raum einer Mehrfachbestimmung durch die Unterschiedlichkeit sozialer Gruppen unterliegt. 
 
Die Herausgeberin erschließt sich diese Mehrdeutigkeit durch die Janusköpfigkeit im städtischen Raum. Sie argumentiert mit Attributen aus dem Klassischen Altertum, wenn sie die Zweigesichtigkeit der Räume anspricht. Nicht unbeabsichtigt, denn in großen Teilen beschäftigt sich der Band mit antiken Beispielen städtischer Umgebungen. Obwohl hinzugefügt wird, der Sammelband will sich nicht nach Regionen oder Epochen einteilen lassen, sondern verfolgt ausschließlich räumliche Kategorien. Cornelia Jöchner unterscheidet hierbei Örtlichkeiten wie Innen und Außen und setzt damit auf das Raumgebilde selbst. Wodurch sich die Architektur und die Skulptur übrigens unterscheiden, wie dies Städtebauer Fritz Schumacher nahe legt. Er läßt zudem deutlich werden, wie stark der Faktor Bewegung der entscheidende Modus zwischen den Räumen ist.  
 
Von wesentlicher Bedeutung bei Cornelia Jöchner ist die Stadtgrenze. Unter der Rubrik Grenze und Territorium nehmen die Beiträge ihren Ausgangspunkt. Bei der Herstellung von Stadt hat auch Sprache ein gewisses Mitspracherecht. Fünf Beiträge befassen sich mit Medialer Repräsentation und dem Thema Vorstellung und Darstellung in der Stadt. Die Raumordnung will Verbindungen zwischen den Orten herstellen, was bei Mascha Bisping mit Hilfe alter Stadtpläne von Krefeld geschieht, die im späten 18. Jahrhundert deutlich erkennbare Ordnungsmodelle darstellen. Die politische Bedeutung von Stadt als eine gebaute Ordnung ist das Interesse bei Ludger Schwarte. Er wendet sich gegen eine ästhetisierende Sichtweise. Stadt selbst kann auch zum Medium des Theaters werden, wie dies bei Thomas Steiert anhand der Salzburger Festspiele untersucht wird. Kumulative Textur erkennt Kerstin Pinther am Beispiel afrikanischer Städte Accra und Kumasi in Ghana. Mit den Fragestellungen über die Wechselwirkungen der Räume befassen sich insgesamt 17 Beiträge, die mit unterschiedlichen Ansätzen und Methoden der Autoren argumentieren. Nach dem bebilderten Textteil finden sich am Schluß mehrere Seiten mit Farbabbildungen, wobei diese farbigen Abbildungen Wiederholungen sind, die im Textcorpus ihr Gegenstück in s/w haben.
 
Der Beitrag von Monika Wagner beschäftigt sich mit den Strategien sozialistischer Festräume in Städten der frühen DDR. In erster Linie waren es die Fassaden der Gebäude auf den neu gestalteten Plätzen und Straßen mit lokalem Bezug die Stilpluralismus generierten. Mit dem "Nationalen Aufbauwerk" sollten die weitgehend zerstörten Innenstädte von Dresden, Magdeburg, Rostock und Leipzig neue, großzügige "sozialistische Stadträume" erhalten. Damit verbunden waren programmatische Umbenennungen in Stalin- oder Marx-Engels-Allee. 
 
Die Ausstattung der Festräume gehorchte durch sein stilistisches Dekor der Doktrin vom "nationalen Erbe". Die groß angelegte Kampagne für eine nationale Architektur folgte Stalins Konzept der Integration im Vielvölkerstaat Sowjetunion. Walter Ulbricht sah es jedoch als vordringliche Aufgabe "eine deutsche Architektur" zu entwickeln. Die Kampagne richtete sich gegen den Kosmopolitismus des neuen Bauens im Westen und seiner angeblichen "Entmenschlichung der Fassaden". Das propagierte nationale Erbe meinte genau genommen ein regionales Repertoire der Schmuckformen. In Berlin spielten für den Aufbau der Stalinallee vor allem Versatzstücke aus Schinkels Bauakademie und dem Feilnerhaus als Leitbilder eine zentrale Rolle. In der grundlegenden Schrift zum "Nationalen Aufbauwerk" erwähnte Ulbricht unterschiedliche Stilepochen, ließ aber den Barock aus. Für Dresden mußte deshalb eine eigene Lösung gefunden werden. 
 
Diese Strategie der Architektur verfolgte das Ziel als qualitative Veränderung gegenüber "kunstlosen" Modernismen der BRD verstanden zu werden. Insofern wird die Architektur mißbräuchlich als Mittel der Macht verwendet. Dies drückt sich an den handwerklichen Oberflächen der Bauten aus, wenn z.B. eine Kachelverkleidung den Platz der Berliner Stalinallee bedeckte, wofür 365 verschiedene Formteile verwandt wurden. Die Herausbildung des sozialistischen Festraums sollte nicht allein durch die architektonische Gestaltung erfolgen, sondern von vornherein durch die Beteiligung der ungezählten Aufbauhelfer beim Beseitigen der Kriegstrümmer mithelfen.
 
Die Beschäftigung mit der Architektur der früheren DDR ist interessant geworden, weil immer mehr Bausubstanz dieser Epoche verloren geht. Zum einen, weil die DDR nicht mehr existiert und dessen ideologisches Programm abgeschafft ist. Zum anderen hat es zu Folge, daß Bauten mit DDR Programmatik abgerissen werden und aus der Landschaft verschwinden. Bestes Beispiel hiefür ist der abgerissene Palast der Republik an dessen Stelle das alte Berliner Stadtschloß neu ersteht. Hier findet auch etwas wie Geschichtsglättung statt, wenn sich westliches knowhow über gebaute Substanz der früheren DDR setzt.
 
Nicht Thema des Aufsatzes von Monika Wagner ist die Beschäftigung mit sozialistischer Architektur im Zusammenhang mit dem Roman "Franziska Linkerhand" von Brigitte Reimann, in welchem sich eine Architektin kritisch mit sozialistischen Bauformen auseinandersetzt. Das Buch wurde zu DDR Zeiten nur in einer zensierten Version publiziert. Der vollständige Roman ist zuerst 1998 im Aufbau-Verlag erschienen. Im Roman werden sehr bildhaft Gedanken und Vorgänge beschrieben, wie sie die Menschen empfanden, die in der DDR leben mußten. Der Roman "Die Architekten" von Stefan Heym ist ebenso eine Auseinandersetzung mit sozialistischer Architektur, ein Strukturalismus vom Anbeginn bis zum Niedergang der DDR mit machtpolitischer Auswirkung.
 
Auch die Beschäftigung mit Plattenbausiedlungen der früheren DDR liegt außerhalb von Monika Wagners Aufsatz. Die Analyse solcher Siedlungen mit der sich die wissenschaftliche Arbeit einer Autorin an der UdK in Berlin auseinanderzusetzen versucht, dienen der Aufarbeitung des von Ulbricht sogenannten "nationalen Erbe" in der früheren DDR. Das geht soweit, daß isometrische Zeichnungen einem Atlas zur Untersuchung der Plattenbausiedlung von Bitterfeld-Wolfen dienen, die erst nachträglich zum Zwecke der Untersuchung angefertigt worden sind. Unter der Überschrift "Urbane Identitäten" soll hier ein Stück Identität zurückgewonnen werden, für das, was früher einmal Marktplatz der Sehnsüchte von Menschen bedeutete und verständlicherweise immer mehr westlichem knowhow weichen soll.
 
 
Inhalt des Buches
 
 
Grenze und Territorium
 
Felix Pirson
Das Territorium der hellenistischen Residenzstadt Pergamon.
Herrschaftlicher Anspruch als raumbezogene Strategie
 
Robert Born
Spätantike Stadtgrenzen und Chritianisierung
in Historia und Tropaeum Traiani
 
Cornelia Jöchner
Ränder der Stadt, Ränder der Nation. Das "historische" Architekturensemble
der Budapester Milleniumsausstellung 1896
 
 
Innen-Außen-Beziehungen
 
Jörg Stabenow
Verortungen, Spiegelungen. Der sakrale Innenraum als Element
der städtischen Raumordnung
 
Marion Limhardt
"Eidometropolis". Raumerfahrungen im Londoner Unterhaltungstheater des 19. Jahrhunderts
 
Topologien der Stadt
Gerhard Vinken
 
Ort und Bahn. Die Räume der modernen Stadt bei Le Corbusier und Rudolf Schwarz
Monika Wagner
Strategien der Beteiligung. Zur Fabrikation "sozialistischer Festräume" in Städten der frühen DDR
 
Antje Schlottmann
Raum, Sprache, Stadt und Land
 
 
Räumliche Ordnungen
 
Mascha Bisping
"Manufaktur" oder Garten? Krefeld im Prozess der Verlandschaftung zwischen kameralistischer und liberalistischer Raumordnung
 
Jasper Cepl
Eine Vorstellung von der Stadt als Kunstwerk.
Über Oswald Mathias Ungers und seine Wege zur räumlichen Ordnung
 
Joachim Schlör
Religiöse Praxis als räumliche Ordnung der Stadt.
 Die jüdische "Sabbatgrenze" (Eruv)
 
Ludger Schwarte
Der geplante Aufstand. Räumliche Unordnung der Stadt
 
Mediale Repräsentation
Tanja Michalsky
 
Gewachsene Ordnung. 
Zur Chorographie Neapels in der Frühen Neuzeit
 
Markus Bauer
"Czernowitz" - "Mitteleuropa". Theater und Medien in der Produktion virtueller Räume
 
Thomas Steiert
"Durch das Medium dieser Stadt verbinden wir die großen Kunstwerke der Menschheit mit dem Leben." 
Zum Stadtbezug der Salzburger Festspiele 
 
Kirsten Wagner
Die visuelle Ordnung der Stadt. Das Bild der Stadt bei Kevin Lynch
 
Kerstin Pinther
Accra Kumasi Beautiful. Postkoloniale Stadtimages in Ghana
 
 
Die Bindung des Buches zumindest des vorliegenden Exemplars läßt zu wünschen übrig. Die Leimung der Seiten im Falz hält nicht was die Bindung verspricht.
 
 
Click me