Henry van de Velde in Erfurt

Henry van de Velde. Ein Universalmuseum für Erfurt
von Miriam Krautwurst
und Kai Uwe Schierz
Kerber Verlag, Bielefeld
1. Auflage 2013 
Gebundene Ausgabe, 272 Seiten
Größe:  22,5 x 3 x 28,2 x 3 cm
ISBN 978-3-86678-829-9
 
Die Ausstellung im Angermuseum in Erfurt rekonstruiert anlässlich des 150. Geburtstages van de Veldes die Planungsgeschichte eines vereitelten Museumsneubaus.

 

Henry van de Velde (1863 -1957) ist in vieler Hinsicht ein außergewöhnlicher Architekt gewesen, der zu Lebzeiten sehr viel Popularität erreichte. Das hängt sicherlich auch mit seiner am Organischen der Natur orientierten Formensprache zusammen. Einer Formensprache die oftmals dem Jugendstil zugeordnet werden kann. Nach Beendigung dieser Epoche, die nicht sehr lange vor und nach der Jahrhundertwende um 1900 währte, versiegte das allgemeine Interesse am Dekorativen und einer Schönheit der Stilisierung. Heutzutage wird sein Werk vielleicht noch als "chices Design" von damals oder als "in" bezeichnet. In jedem Fall war die Zeit des Jugendstils eine Phase des Übergangs in die Moderne des 20. Jahrhunderts. Der Historismus hatte nicht mehr die Bedeutung wie vor der Jahrhundertwende, was nicht zuletzt durch eine Revolutionierung der Bau- und Gestaltungstechniken ermöglicht wurde. Schon bald standen jedoch Reform- und Heimatbewegungen im Vordergrund und der bevorstehende Erste Weltkrieg vereitelte schließlich das Bauprojekt am Universalmuseum in Erfurt schlagartig. 

 

Viele der Entwürfe van de Veldes haben nicht wirklich viel Neuartiges in Konstruktion und Architektur zu bieten. Auch wenn er ein konsequenter Kriegsgegner war, der sich dem Kriegstreiben in Deutschland nach 1917 durch Umzug in die Schweiz entzog. Seine Stärke lag vielmehr in äußeren Umwandlungen, zum Beispiel bei der Fassadengestaltung in eine einzigartig organische Formensprache, die so ausgeprägt war, dass sogar eine fundamentale Erneuerung der angewandten Kunst in Deutschland und Europa von ihm ausging.

 

Weshalb ein Universalmuseum? Das hängt mit der Stimmung zur damaligen Zeit zusammen, die eine Neigung zum Monumentalen liebte. Das Deutsche Reich hatte aufgrund der großen Ostgebiete die größte Ausdehnung, die jemals das Reich erreichen sollte. Was davor bis 1871 und nach den Weltkriegen nicht mehr der Fall sein sollte. Es war die Zeit der Siegerdenkmale und der Gedenkstätten, die in monumentalen Ausführungen von hochrangigen Architekten der damaligen Zeit umgesetzt wurden oder in Entwürfen bereits vorlagen. Friedrich Nietzsche ist nur einer, der diese kolossale Herausforderung an das deutsche Volk mit seiner Philosophie angenommen hat.  

 

Seine große Popularität als Architekt und besonders als Innenarchitekt erfuhr van de Velde viel stärker noch in Frankreich als in Deutschland. Das hängt mit dem Umstand zusammen, dass er fürstliche Auftraggeber in Deutschland überwiegend im ostdeutschen Raum in Ländern wie Thüringen und Sachsen hatte und unter Vertrag stand. Das mutet zunächst an, als hätten die Auftraggeber das alleinige Sagen behalten, denn sie verfügten praktisch über die vertraglichen Alleinrechte an der Arbeit van de Veldes auf deutschem Boden. Ein Grund, weshalb er nach der Teilung Deutschlands zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Um so mehr kann die Aufgabe nur lauten, sich dem Künstler, Architekten und Innenarchitekten von Neuem zu widmen und sein herausragendes Werk zu würdigen. 

 

Ausstellung: Henry van de Velde. Ein Universalmuseum für Erfurt

Angermuseum Erfurt     vom 4. Mai bis 8. September 2013

 

 

Buch zur Ausstellung herausgegeben von Miriam Krautwurst und Kai Uwe Schierz:

Henry van de Velde. Ein Universalmuseum für Erfurt,

Bielefeld 2013, ISBN 978-3-86678-829-9

 

Der Katalog enthält Beiträge von: Ruth Menzel, "Aufstieg und Fall eines ehrgeizigen Museumsobjektes; Norbert Korrek, Der Architekt Henry van de Velde. zu einigen Ausstellungs- und Museumsprojekten; Ole W. Fischer, Museum für Nietzsches Neuen Menschen? Henry van de Veldes Planung zum Universalmuseum in Erfurt zwischen Krise und Wille zum Stil; Miriam Krautwurst, Die lang erwartete, einwandfreie Moderne - Henry van de Velde - ein Universalmuseum für Erfurt; Christian Welzbacher, Redslob und van de Velde. Szenen einer ungleichen Freundschaft; Günther Gercken, Die neue Stadt. Text von Edwin Redslob. Holzschnitte von Ernst Ludwig Kirchner und Alfred Hanf; Tobias J. Knobloch, Die Geburt bürgerlicher Kulturpolitik aus dem Geiste der Moderne; Miriam Krautwurst, Chronologie - ein Universalmuseum für Erfurt; Anhang; Literatur, Personenregister, Autoren und Bildnachweis.   

 

Beinahe parallel verlief eine Ausstellung in der Erfurter Kunsthalle über den Architekten und Designer Peter Behrens "Vom Jugendstil zum Industriedesign", die vom 24. März bis 16. Juni dauerte. Das künstlerische Schaffen von Behrens umfaßte Bereiche der Architektur und Innenarchitektur sowie des Industriedesign. Zu dieser Ausstellung ist ebenfalls ein ausführlicher Katalog erschienen. Peter Behrens (1868 - 1940) und Henry van de Velde waren beide in weiten Bereichen der Designfindung und in der Architektur tätig. Beide zählten auch zu den frühen Gründern des Deutschen Werkbundes, der in Analogie zur britischen Arts & Crafts Bewegung zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstand.  

 

Katalog und Ausstellung zum Universalmuseum in Erfurt von Henry van de Velde liefern die bauliche Bestandsaufnahme zum nicht verwirklichten Museum. Dazu gehört eine Aufschlüsslung der vorgesehenen Räumlichkeiten anhand zahlreicher originaler Handskizzen mit Vermaßung und Größenangaben ebenso wie Abbildungen mit Modellen aus Gips. 

 

Der Katalog gliedert sich in einen Textteil, der zweidrittel der Seite einnimmt und einem eindrittel breiten Rand für Anmerkungen, die nummeriert sind und die Aufgabe von Fußnoten erfüllen. Zahlreiche Fotografien aus der Zeit um die Jahrhundertwende nach 1900 ergänzen die Beschreibungen plastisch. Immer wieder sind auch Abbildungen mit Plakatentwürfen zu sehen, die versuchen Transparenz der Epoche herzustellen. Ein Gemälde Ernst Ludwig Kirchners von Edwin Redslob ist ganzseitig in Farbe abgebildet.

 

Das im Original abgedruckte handschriftliche Protokoll der Museumskommission vom 3. November 1910 lässt die Auseinandersetzungen erahnen, die mit dem Universalmuseum von organisatorischer Seite her verknüpft waren. Noch viele Projekte verschiedenster Architekten und Ingenieure tummeln sich, die nur in der Entwurfsphase existieren. In diese Reihe ließen sich auch die Entwürfe für eine Nietzsche-Gedenkstätte einordnen, die nach 1900 über das Planungsstadium nie hinaus kamen.

 

Siehe auch:  Bauhaus-Architekt Henry van de Veldes 150. Geburtstag, womit die Aufmerksamkeit in Deutschland an ihm wächst

 

Letzte Änderung am Dienstag, 04 August 2015 18:29
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